Die Auswirkungen, die die Corona-Krise mit sich zieht, sind nur schwer zu (be)greifen. Dennoch bemerken wir bereits jetzt, dass die Veränderungen immens und unsere strategischen Ausrichtungen grundlegend verändert sind. Gerade unsere lebenswichtigen Bereiche wie das Gesundheitswesen, die Lebensmittelversorgung und auch die Bildung, stehen in diesen Zeiten vor großen Herausforderungen.
Die Medien berichten täglich von Mangel an lebenswichtigen Medikamenten, leeren Regalen in den Supermärkten, erhöhter Nachfrage nach Home-Delivery, Unterbrechungen oder Verzögerungen in den Lieferketten von Rohstoffen und Komponenten, die für das Produktionsgewerbe essentiell sind. Geschäfte werden geschlossen, die Nachfrage und das Angebot an Arbeitskräften unterliegen einer nie dagewesenen Unsicherheit. Die Liste ist lang, sodass wir uns die Frage stellen sollten, wie wir diesen Veränderungen begegnen können.
In diesem Beitrag möchten wir uns genauer mit diesen Themen beschäftigen, um Ihnen basierend auf unserer Erfahrung zu vermitteln, wie Sie Ihre Lieferketten trotz Corona-Krise aufrechterhalten und sich auf das einstellen können, was gegebenenfalls noch kommen mag.
Globale und regionale Lieferketten sind derzeit massiven Störungen ausgesetzt. Unvorhergesehene Anforderungen, die bereits in "normalen" Zeiten große Herausforderungen für das Supply Chain Management bedeuten, nehmen rapide zu. Hinzu kommt, dass historische Daten, die in der Vergangenheit den Forecast bildeten und somit die Planungsprozesse unterstützen, derzeit möglicherweise nicht mehr oder nur begrenzt genutzt werden können. Wie können Sie weiterhin die Aufrechterhaltung Ihrer Lieferketten gewährleisten?
Bevor wir uns damit beschäftigen, welche Maßnahmen Sie ergreifen können, möchten wir tiefer in die Thematik der Variabilität und Unsicherheit eingehen, die wir als Begriffe aus der Stochastik kennen. Ergebnisse und Handlungen von Prozessen sind bis zu einem gewissen Grad durch Unsicherheiten gekennzeichnet, sodass bereits heute an Modellen gearbeitet wird, die die Prozesse aus der Vergangenheit analysieren, um Entscheidungshilfen für die Zukunft zu liefern. Solche Modelle sind nützlich, um Trends für die Zukunft zu erkennen, werden uns jedoch niemals die genaue Zukunft voraussagen, da sie einer Fehlerquote unterliegen und oftmals u.a. die Variabilität oder Zufälle unberücksichtigt lassen.
Ein aktuelles Beispiel ergibt sich hier bei der Anzahl der am Corona-Virus infizierten Personen oder der Anzahl der Menschen, die eine Intensivbetreuung benötigen werden.
Ist die Mathematik somit in diesen unsicheren Zeiten für die Analyse und Entscheidungsunterstützung nutzlos? Die Antwort lautet nein. Die Mathematik kann uns nämlich dabei unterstützen, die Dynamik hinter den Unsicherheiten zu verstehen. Das Verständnis hierüber in Kombination mit der Analyse von Szenarien hilft, die Wahrscheinlichkeit und das Ausmaß der Folgen von Handlungen zu erkennen und dementsprechend zu agieren. Keine einfach zu bewältigende Aufgabe, wenn man bedenkt, dass hier eine Vielzahl von Faktoren berücksichtigt werden müssen. Maßnahmen zur Schadensreduzierung sind hier wichtig und können die Folgen mindern.
In Anbetracht der Lage stellen sich sicherlich Fragen wie: Waren wir in irgendeiner Weise auf den Ausbruch des Virus vorbereitet? Haben wir Risiken bewertet und in der Unternehmensstrategie berücksichtigt? Diese Fragen geben oftmals einen Hinweis auf die Gestaltung der Lieferkette. Man könnte sich auch die Frage stellen, ob es überhaupt möglich ist, die gesamte Supply Chain auf eine solche Krise vorzubereiten. Eine wichtige Lektion für die Zukunft!
Eine der Herausforderungen liegt derzeit in einer funktionierenden Supply Chain als Reaktion auf den Ausbruch des Corona-Virus. Wie bereits erwähnt, nehmen die Variabilität und die Unsicherheiten derzeit deutlich zu, was sowohl für das Angebot als auch für die Nachfrage gilt. Diese zwei Aspekte müssen wir in Einklang bringen.
Angebot und Nachfrage überdenken
Welche Geschäftsziele möchten Sie erreichen und welche notwendigen Prozesse müssen Sie verändern? Um auf diese neue Situation reagieren zu können, ist es wichtig, dass Sie sich die richtigen Ziele setzen. Welche Dienstleistungen sind Ihnen besonders wichtig? Welche Ihrer Serviceziele können Sie realisieren? Welche Leistungen bieten Sie im "Normalbetrieb" und welche Maßnahmen können Sie sich vorstellen, um Angebot und Nachfrage aufeinander abzustimmen? Die für Ihr Unternehmen relevanten Ziele helfen Ihnen dabei, Prioritäten bei der Bewältigung der derzeitigen Situation zu setzen. Viele Unternehmen handeln bereits auf diese Weise. Betrachten wir Unternehmen wie KLM oder Nederlandse Spoorwegen (staatliche Eisenbahngesellschaft der Niederlande), die aufgrund staatlicher Maßnahmen mit extremen Nachfrage-Einbußen zu kämpfen haben. Als Reaktion wurden Fahrpläne überarbeitet und Flüge wie auch Zugfahrten reduziert. Um den Betrieb weiterhin effizient gewährleisten zu können, reagiert man hier mit Kompromissen im Service. Betrachten wir die Situation nun von der Angebotsseite stehen sowohl die Verfügbarkeit von Waren und Gütern als auch von Ressourcen, wie Mitarbeitern, massiv unter Druck. Der Lebensmittelhandel kämpft mit der Warenverfügbarkeit und den Apotheken gehen die Medikamente aus. Da eine eingeschränkte Serviceleistung undenkbar wäre, reagiert man hier auf die Nachschubfrequenzen, um den erforderlichen Service bieten zu können.
Kosten vs. Servicequalität
Es ist heute wichtiger denn je, die Supply Chain effizient zu verwalten und anzupassen. Durch das Umdenken in punkto Serviceangeboten, beispielsweise flexible Verlängerung und Anpassung von Lieferzeiten, schaffen Sie mehr Raum für wirksame Maßnahmen. Ein Beispiel hierfür ist die verbesserte Verteilung der Arbeitslast über den Tag, um mögliche „Peaks“ zu reduzieren und so bei einer geringeren Kapazitätsnachfrage eine höhere Auslastung zu gewährleisten. Wichtig ist auch, eine erhöhte Nutzung Ihres Fuhrparks zu erzielen, die Sie durch längere Vorlaufzeiten oder Kooperationen mit Transportunternehmen erreichen können.
Die genannten Beispiele unterstreichen, dass der Balanceakt zwischen Service (Effektivität) und Kosten (Effizienz) im Vordergrund stehen sollte. Um diesen Zustand zu gewährleisten, sind alle Stakeholder dazu angehalten kreativ und flexibel zu handeln. Eine erfolgreiche Abstimmung ist hier auch mit dem Vertrieb und Marketing essentiell, sodass aus der Supply Chain Perspektive Kompromisse im Service eingegangen werden müssen, um den optimalen Geschäftsablauf zu gewährleisten.
Setzen Sie Prioritäten
Erinnern wir uns an die Zielsetzung und die Aufgaben der Supply Chain, das Leistungsangebot effizient zu erfüllen, hierbei dürfen wir den Einfluss der Serviceleistung auf die Wirtschaftlichkeit nicht vergessen. Aus diesem Grund sollte man den Fokus auf zufriedene Kunden legen. Aufgrund der deutlich angestiegenen Nachfrage im Onlinehandel ist es empfehlenswert, die Notwendigkeit der "Next-Day-Delivery" für nicht-kritische Güter zu überdenken. Kurze Vorlaufzeiten für die Lieferung von Gesundheits- und Lebensmittelvorräten sind wichtiger als die von Unterhaltungselektronik oder Möbeln.
Auch die Differenzierung der Dienstleistungen hilft dabei, Kapazitäten auszugleichen. Wir sehen dies erneut im Krankenhauswesen, wo eine strikte Trennung zwischen den Corona-Behandlungen und anderen Gesundheitsbereichen herrscht. Die Priorisierung gilt beispielsweise für die präventiven Vorsorgeuntersuchungen im Gesundheitswesen. Obwohl diese sehr wichtig sind, findet hier eine Abwägung statt, sodass genügend Ressourcen für die Versorgung in den Krankenhäusern zur Verfügung stehen.
Seien Sie kreativ
Neben den genannten Maßnahmen, die dazu beitragen, die Schäden aus der Krise möglichst gering ausfallen zu lassen, sehen wir, dass die Geschäftsprozesse durch die Kreativität vieler erhalten bleiben. Zeiten wie diese erfordern vermehrt aufeinander zu achten und neue Wege der Zusammenarbeit und des Handelns für uns zu entdecken.
Die Zukunft ist ungewiss. Aber in Krisenzeiten, so scheint es, werden die Menschen erfinderischer denn je. Wenn die Welt also wieder in ihren stabilen Zustand zurückkehrt, sollten wir uns darüber Gedanken machen, wie wir unsere Geschäftsprozesse zukünftig auch in unvorhersehbaren Krisenzeiten sichern können. Welche Methoden entwickeln wir derzeit, die uns auch nach Corona weiterhelfen? Und welchen Weg müssen wir zukünftig einschlagen?
Aufgrund der derzeitigen Lage wird es sich lohnen, dass wir zukünftig über Neuausrichtungen und Supply Chain Strategien nachdenken, Ideen sammeln und die Balance zwischen Kosten und Service analysieren. Um die Supply Chain aufrecht zu erhalten, sind Anpassungen von Angebot und Nachfrage notwendig sowie eine kontinuierliche und operative Vertriebs- und Betriebsplanung. Planen, handeln, eruieren und reagieren!
Dies ist ein Artikel von Noud Gademann, Principal Consultant Supply Chain Analytics und Lianne van Sweeden, Analytics Consultant
Unsere Mitarbeiter entwickeln mit Ihnen gemeinsam Lösungen, um die Herausforderungen, die sich für Ihr Unternehmen durch den Ausbruch des Virus ergeben, zu bewältigen. Sofern Sie Fragen haben, wenden Sie sich bitte an Ihren persönlichen Ansprechpartner bei ORTEC.