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Dynamische Planung macht Logistik zum Wettbewerbsvorteil

Lesezeit: 5 Minuten

In einem Exklusivinterview erklärt Stefan Huntemann, SVP Supply Chain Planning Europe bei ORTEC, wie dynamische Planung, Transparenz und menschenorientierte Automatisierung Herstellern und Händlern helfen können, veraltete Systeme zu überwinden und sich einen Wettbewerbsvorteil in der Logistik zu verschaffen.

Datum12 Sept 2025
Stefan Huntemann, SVP Supply Chain Planning Europe at ORTEC

In der Logistiklandschaft sind Vorhersagbarkeit selten und Komplexität allgegenwärtig. Supply-Chain-Verantwortliche kämpfen täglich mit schwankender Nachfrage, sich verändernden Vorschriften, Arbeitskräftemangel und fragmentierten Daten. Stefan Huntemann, SVP Supply Chain Planning Europe bei ORTEC, ist überzeugt: Die Lösung liegt nicht einfach darin, mehr Technologie einzusetzen, sondern darin, bestehende Logistiksysteme mit tieferer, menschengestützter Intelligenz auszustatten.

„Transparenz ist grundlegend“, sagt Huntemann deutlich. „Auf der Produktionsseite bedeutet Transparenz den Zugang zu Echtzeit- und Prognosedaten entlang der gesamten Lieferkette. Es geht also nicht nur darum, zu wissen, was jetzt passiert, sondern auch, was morgen und darüber hinaus wahrscheinlich passieren wird.“

Warum das heute entscheidend ist, erläutert Huntemann so: „Hersteller sind in hohem Maße auf zeitgerechte und kosteneffiziente Logistik angewiesen. Je früher sie über präzise Informationen verfügen, desto früher können sie planen – vom Lager bis zur Auslieferung. Frühzeitige Sichtbarkeit ermöglicht es Unternehmen, proaktiv statt reaktiv zu handeln. Das macht in der heutigen, hochvolatilen Marktsituation den entscheidenden Unterschied.“

Transparenz ist grundlegend. Es geht nicht nur um das Hier und Jetzt, sondern auch um das, was morgen und darüber hinaus wahrscheinlich passiert.

Transparenz ist grundlegend. Es geht nicht nur um das Hier und Jetzt, sondern auch um das, was morgen und darüber hinaus wahrscheinlich passiert.

Stefan Huntemann, SVP Supply Chain Planning Europe bei ORTEC

Ohne diese Transparenz greifen Unternehmen auf feste, statische Distributionsmethoden zurück. „In der Praxis bedeutet das“, erklärt Huntemann, „dass täglich dieselben Routen gefahren werden – unabhängig von Nachfrageschwankungen. Das ist sicher und vorhersehbar, aber auch ineffizient. So entstehen oft verschwendete Ressourcen, höhere Kosten und verpasste Optimierungsmöglichkeiten.“

Dynamische Planung in der Praxis

Dynamische Planung wählt einen anderen Ansatz, und Huntemann verdeutlicht, wie das in der Praxis funktioniert: „Dynamische Planung bedeutet, die Logistik sowohl operativ in Echtzeit als auch strategisch über Saisons und Marktveränderungen hinweg anzupassen.“

Er illustriert den Unterschied mit dem Beispiel eines großen Süßwarenherstellers, dessen Logistikabläufe sich durch saisonale Nachfrageschwankungen stark verändern. „Die Logistikplanung vor den Feiertagen sieht ganz anders aus als im Sommer. Das zeigt, wie adaptive Logistikplanung zum Wettbewerbsvorteil werden kann.“

Stefan Huntemann, SVP Supply Chain Planning Europe at ORTEC

Stefan Huntemann, SVP Supply Chain Planning Europe bei ORTEC

"Frühzeitige Sichtbarkeit ermöglicht es Unternehmen, proaktiv statt reaktiv zu handeln."

Der Hersteller nutzt dynamische Planung, um sein Logistiknetzwerk proaktiv anzupassen. „Das umfasst Nachfrageprognosen, Arbeits- und Kapazitätsengpässe, externe Störungen und sogar Marketinginitiativen“, erklärt Huntemann. „Das System ist agil, ohne an Effizienz einzubüßen. Ressourcen werden weder überbeansprucht noch unterausgelastet. In Spitzenzeiten wird die Produktverteilung sogar auf Basis prädiktiver Modelle rationiert – statt wie traditionell reaktiv auf Bestellungen zu reagieren. Es handelt sich um angebotsgetriebene Nachfrageplanung, die nur möglich ist, wenn man seine logistischen Grenzen und Möglichkeiten frühzeitig versteht.“

Altlasten überwinden

Altsysteme erschweren diesen Weg, was Huntemann zu einem weiteren kritischen Punkt bringt: das Bewusstsein auf Führungsebene. „Das ist sehr unterschiedlich. Manche Unternehmen sind sehr weit fortgeschritten, andere arbeiten noch wie 2005. Man mag es kaum glauben, aber einige große europäische Einzelhändler steuern komplexe Logistikprozesse tatsächlich mit Excel-Tabellen.“

Ein Beispiel ist ein bekannter europäischer Modehändler, der seine Logistik für Hunderte Filialen und verschiedene Marken über fragmentierte Tabellenkalkulationen steuerte. „Diese Arbeitsweise schränkte ihre Fähigkeit massiv ein, schnell auf Marktveränderungen und Nachfrageschwankungen zu reagieren. Derzeit durchlaufen sie eine umfassende Transformation hin zu integrierten, datengesteuerten Lösungen. Das ist ein deutliches Beispiel dafür, wie Altsysteme Unternehmen daran hindern, echte Echtzeit-Flexibilität zu erreichen.“

Supply Chain Planning GenAI

Logistik bedeutet nicht nur den Transport von Waren, sondern das Management voneinander abhängiger Restriktionen.

Stefan Huntemann, SVP Supply Chain Planning Europe bei ORTEC

Zielkonflikte managen

Was macht die Optimierung der Logistik so schwierig? Huntemann zögert nicht: „Zielkonflikte. Logistik bedeutet nicht nur, Waren zu bewegen, sondern miteinander verflochtene Restriktionen zu steuern. Angenommen, ein Supermarkt bestellt schwere Gläser, empfindliche Schokoladenprodukte und gekühlte Waren. Optimal wäre ein Ladeplan, der das Entladen erleichtert – aber schwere Gläser dürfen nicht auf empfindliche Schokolade gestapelt werden, und gekühlte Waren brauchen eigene Zonen.“

Er fährt fort: „Hinzu kommen Lieferrestriktionen. Manche Filialen verlangen niedrige Paletten, andere akzeptieren höhere. Einige liegen in verkehrsberuhigten Innenstädten und erfordern kleinere oder elektrische Fahrzeuge. Auch die Zeitfenster variieren: Bestimmte Kunden lassen sich nur zu bestimmten Zeiten beliefern. Jede Entscheidung hat Ketteneffekte. Einen einzelnen Lkw könnte man noch manuell planen – aber bei Hunderten täglich stoßen menschliche Disponenten an ihre Grenzen. Sie greifen dann auf Heuristiken zurück: ‚So haben wir es immer gemacht.‘ Das funktioniert – bis es nicht mehr funktioniert.“

Stefan Huntemann, SVP Supply Chain Planning Europe at ORTEC

Stefan Huntemann, SVP Supply Chain Planning Europe bei ORTEC

"Unsere Tools bewahren menschliche Intuition und ergänzen sie um Rechenleistung."

Um diese Probleme wirklich zu lösen, müssen Unternehmen laut Huntemann die Zielkonflikte klar identifizieren und systematisch mit Hilfe von Analytik und intelligenter Software adressieren. „Wer diese Komplexitäten ignoriert, zementiert Ineffizienz.“

Menschzentrierte Automatisierung

Um diese Komplexitäten zu bewältigen, spielt Technologie – insbesondere KI – eine wichtige Rolle. „Unser Machine-Learning-Ansatz analysiert historische Disponentenentscheidungen und erfasst deren Entscheidungslogik“, erklärt Huntemann. „Wir trainieren das Modell anhand realer Handlungen, sodass menschliche Expertise in automatisierte Prozesse übergeht. Wir nennen das ‚menschzentrierte Automatisierung‘. Zunächst repliziert das System die Disponentenlogik und entwickelt sich erst später zu echter Optimierung. Man kann nichts optimieren, was man nicht vorher dokumentiert oder verstanden hat. Unser schrittweises Vorgehen – beobachten, nachahmen, verbessern – sorgt dafür, dass das System für Disponenten intuitiv und vertrauenswürdig bleibt.“

Die kulturelle Akzeptanz bleibt jedoch eine Herausforderung, räumt Huntemann ein: „Disponenten sehen moderne Tools, insbesondere Automatisierung, oft als Bedrohung ihrer Expertise. Diese Profis verfügen über jahrzehntelanges Erfahrungswissen. Wenn Systeme neue Routen vorschlagen, reagieren sie mit Skepsis – und das ist nicht irrational, da herkömmliche Systeme den menschlichen Kontext oft nicht berücksichtigen.“

Aligning Supply Chain Strategy and Execution is Critical for Success
"Logistik wird künftig die Strategie aktiv mitgestalten, Unternehmen tiefere Einblicke geben und Wettbewerbsvorteile sichern. - Stefan Huntemann, SVP Supply Chain Planning Europe bei ORTEC"

Um dies zu überwinden, integrieren die Machine-Learning-Systeme von ORTEC bewusst menschliche Präferenzen. „Unsere Tools berechnen nicht nur die effizientesten Routen, sondern berücksichtigen auch den Kontext – etwa warum ein bestimmter Fahrer immer einen bestimmten Kunden bedient. Vielleicht hat er die Schlüssel für die Filiale außerhalb der Öffnungszeiten oder eine bessere Kundenbeziehung. Menschzentrierte Automatisierung integriert genau solche Faktoren, bewahrt menschliche Intuition und ergänzt sie durch Rechenleistung.“

Nahtlose SAP-Integration

Warum ist die Integration in bestehende ERP-Systeme entscheidend? „SAP ist der weltweite ERP-Standard, insbesondere für unsere größeren Kunden“, sagt Huntemann. „Unsere Lösungen sind nicht nur angebunden, sondern direkt in SAP eingebettet. Wir entwickeln Funktionen in SAPs eigener Sprache ABAP, sodass unsere Tools wie native SAP-Transaktionen wirken. Nutzer können komplexe Optimierungsszenarien direkt in der SAP-Umgebung auslösen und steuern – ganz ohne Middleware.“

KI-gestützte Prognosen

Huntemann blickt in die Zukunft: „Die Logistiknetzwerke von morgen werden Nachfrageverschiebungen und Ressourcenverfügbarkeit vorwegnehmen – mit Echtzeitanalysen und KI-gestützten Prognosen. Logistik wird nicht mehr nur reagieren, sondern aktiv die Strategie mitgestalten, Unternehmen tiefere operative Einblicke ermöglichen und Wettbewerbsvorteile sichern. Die Unternehmen, die diese Verbindung von Intelligenz und Handlungsfähigkeit meistern, werden die Maßstäbe für Exzellenz in der Supply Chain setzen.“

Über Stefan Huntemann – ORTEC Supply Chain Planning Experte

Stefan Huntemann ist SVP Supply Chain Planning Europe bei ORTEC. Der studierte Wirtschaftsingenieur mit Schwerpunkt Transport und Logistik war 1994 Mitbegründer von Logiplan, das später Teil der internationalen ORTEC-Gruppe wurde. Heute treibt er die strategische Entwicklung des Unternehmens im Bereich SAP- und Nicht-SAP-Lösungen voran, wobei sein Schwerpunkt auf datengestützter Logistikoptimierung liegt. Außerdem vertritt er ORTEC auf wichtigen Branchenveranstaltungen.

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Stefan Huntemann, SVP Supply Chain Planning Europe at ORTEC

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