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Was Einzel- und Onlinehandel aus Corona-Zeiten für die Zukunft lernen können

Lesezeit: 7 Minuten

In Zeiten unvorhergesehener Krisen besteht eine der Hauptaufgaben für Unternehmen darin, Risiken zu erkennen, die den Fortbestand eines Unternehmens gefährden könnten, sowie schnell und effektiv zu handeln, um die Auswirkungen zu minimieren. Eine weitere beispiellose Herausforderung bedeutet die unvermeidliche Umstrukturierung der Wirtschaft. Bisher funktionierende Geschäftsprozesse sind unterbrochen, vormals geltende Kennzahlen nicht mehr gültig. Betriebe werden sich auf eine „neue Normalität" vorbereiten und darüber nachdenken müssen, wie sie künftige Szenarien besser vorhersehen können. Basierend auf mittlerweile vorhandenen Daten und sich abzeichnenden Trends aus den ersten von Corona betroffenen Ländern der Erde, möchte dieser Artikel dem Einzel- und Onlinehandel daher Denkanstöße geben und dabei helfen, den eigenen richtigen Kurs für die Zukunft einzuschlagen.

Datum9 Apr 2020
Coronavirus Outbreak Insight

Zukünftige Szenarien vorhersehen

Globale Krisen, wie sie durch das Coronavirus hervorgerufen werden, fördern eine neue Dimension der Unsicherheit. In den vergangenen Wochen war das unmittelbare wirtschaftliche Überleben eines Betriebes vielfach der wichtigste Tagesordnungspunkt.

Sobald Unternehmen einen Weg gefunden haben, mit den dringendsten Problemen fertig zu werden, werden sich Einzel- und Onlinehandel über Szenarien-Management und Was-wäre-wenn-Analysen Gedanken machen müssen.

Die Regierungen der Länder ergreifen Maßnahmen, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Obwohl die Statistiken einiger Länder, erste Stabilisierungen oder vorsichtig rückläufige Trends aufzeigen, gibt es zurzeit keine Garantien für langfristige positive Effekte. Zudem liegen noch keine ausreichenden Informationen vor, die Rückschlüsse darauf zulassen, ob das Virus nur saisonal bedingt ist und/oder sich verändern wird. Eine Vorhersage über die Dauer der von den Regierungen verhängten Maßnahmen ist schwierig.

Das Bureau for Economic Policy Analysis (CPB) in den Niederlanden verwendet vier unterschiedliche Szenarien, um die möglichen wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona Pandemie in den Jahren 2020 und 2021 darzustellen.
Diese vier Szenarien gliedern sich unter zwei Hauptszenarien auf – der verzögerten Wiederherstellung und der anhaltenden Rezession.

Verzögerte Wiederherstellung

Wenn die verhängten Maßnahmen weitere drei Monate andauern, sollten Unternehmen eine mögliche finanzielle Unterstützung der Bundesländer/der Regierung zwecks Aufrechterhaltung ihrer Arbeitsleistung in Betracht ziehen. Eine Erholung der Wirtschaft kann im Laufe des Jahres 2020 erwartet werden. Die Notwendigkeit einer Ressourcenkürzung ist gering.

Sollten die verhängten Maßnahmen sechs Monate andauern, wird die Weltwirtschaft zunehmend in Mitleidenschaft gezogen. Entsprechend ist von einem noch stärkeren Einfluss auf die heimische Industrie auszugehen. Für das Jahr 2020 ist mit einer Rezession, im Jahr 2021 mit einer Erholung der Wirtschaft zu rechnen. Der Arbeitsmarkt für Berufseinsteiger wird schwieriger, befristete Verträge werden möglicherweise nicht verlängert.

Anhaltende Rezession

Wenn die für Bevölkerung und Wirtschaft verhängten Maßnahmen weitere sechs Monate andauern würden, hätten schwerwiegende Probleme in der Weltwirtschaft und im Finanzsektor eine längere und tiefere Rezession zur Folge, die bis Mitte des Jahres 2021 andauern könnte. Unternehmen werden entscheiden müssen, ob bzw. welche Einschnitte notwendig sein werden, um den Fortbestand des Betriebes zu sichern und die Effizienz mittelfristig zu steigern.

Dauern die Maßnahmen weitere 12 Monate oder noch länger an, wird die Rezession weiter anhalten. Eine Erholung kann erst nach 2021 erwartet werden. Die Arbeitslosenzahlen könnten über das Niveau der vorangegangenen Wirtschaftskrise hinaussteigen.

Diese Unsicherheiten in Bezug auf eine "neue Normalität" erfordern von Unternehmen eine sorgfältige Vorausplanung. Firmen sollten auf alle vier vorgestellten Szenarien vorbereitet sein.

Infographic: Scenarios Corona Crisis by CPB

Was uns Daten und Trends verraten

Kurz- aber auch langfristig müssen Einzel- und Onlinehandelsunternehmen eine mögliche Störung des Gleichgewichts von Nachfrage und Angebot vorhersehen können und fertige Konzepte haben, um negative wirtschaftliche Auswirkungen auf das Geschäft zu minimieren. Wie zuvor beschrieben, gibt es keine fertigen Pläne, wie die „Normalität“ zukünftig aussehen wird, wenn die Regeln des bisherigen Tagesgeschäfts aus dem Gleichgewicht geraten. Daten und Trends können Hinweise geben, wie man sich auf eine umstrukturierte Wirtschaft vorbereiten und sich positionieren sollte.

Als Reaktion auf die Maßnahmen der Regierungen, den Druck auf die Gesundheitssysteme zu reduzieren, ändert sich auch das Verbraucherverhalten. Die Auswirkungen sind je nach Industriesektor unterschiedlich. Einige Branchen, wie die Luftfahrt und das Hotel- und Gastronomiegewerbe, haben stärker unter den strengen Auflagen zu kämpfen als andere. Laut Analysen der Unternehmens- und Strategieberatung McKinsey & Company, die zu einem frühen Zeitpunkt der aktuellen Krise erstellt wurden, scheint der Sektor des Einzel- und Onlinehandels, der sich auf Konsumgüter, Unterhaltungselektronik und Halbleitertechnik konzentriert, einem langfristigen negativen (wirtschaftlichen) Einfluss auf das Geschäft zu entgehen (siehe Abbildung 1). Diese Aussage wird hauptsächlich durch eine positive Grundstimmung der Konsumenten gestützt: Die Verbraucher erwarten eine Erholung zur zweiten Hälfte des Jahres 2020.

Expected duration of (economic) impact per sector

Sollte die oben beschriebene Situation eintreten, ist lediglich mit einem moderaten Rückgang des privaten Konsums und des Exports von Gütern zu rechnen. Für den klassischen Einzelhandel sind die Auswirkungen auf den Umsatz allerdings enorm (siehe Abbildung 2). Die von der Regierung auferlegten Maßnahmen haben bekanntlich zu kompletten Ladenschließungen geführt; in den offenen Geschäften sind Waren aufgrund von Hamsterkäufen vergriffen oder eine geringere Nachfrage ist für bestimmte Waren in Folge eines knapperen Verbraucherbudgets zu verzeichnen. Die Einnahmen aus den Produktsegmenten mit hoher Nachfrage könnten hier gegebenenfalls die Verluste bei Produkten mit geringer Nachfrage ausgleichen; der Online-Vertrieb könnte den Offline-Handel kompensieren.

Growth rates in China for sales of traditional and online retail weeks 4-9 2020

Die insgesamt rasch steigende Nachfrage nach Online-Produkten und entsprechenden Dienstleistungen könnte Unternehmen veranlassen, noch schneller auf E-Commerce umzusteigen. Unternehmen werden sich auf neue zukünftig geltende strategische Maßnahmen aber auch auf Multi-Channel-Lieferketten einstellen müssen.

Betrachtet man die globalen Trends, so zeigen Untersuchungen des Marktforschungsinstituts GfK, dass beispielsweise China - als erstes von der Pandemie betroffenes Land – wirtschaftlich stark gelitten hat. Die Zahlen anderer stark betroffener Länder, wie Südkorea, Japan und Italien, zeigen einen massiven Konsumanstieg bei beispielsweise Gefriertruhen und Luftreinigern.
In Italien und allen anderen Ländern, ist eine deutliche Verschiebung der gekauften Güter zu beobachten: Siehe Abbildung 3 – Konsumentenverhalten am Beispiel Italien.

Shift in purchasing behavior in Italy. Data from the first Red Zone to full lockdown

In der gleichen Untersuchung beschreibt die GfK eine Steigerung bei Verkäufen von Technikprodukten. Bereits vor der Krise gab es eine starke Konsumentennachfrage, und mit Ausbruch des Virus ist eine deutliche Steigerung der Umsatzzahlen festzustellen. Interessanterweise zeigen die Verkaufszahlen in China, mit Verbreitung der ersten Nachrichten vom Ausbruch des Coronavirus, zuerst einen Rückgang bei Verkäufen von Technikartikeln (siehe Abbildung 4). Nach Inkrafttreten des kompletten Lockdowns im Land folgte jedoch wieder ein starker Anstieg. Der gleiche Trend wird für Länder in Europa und (Nord-)Amerika erwartet.

Sales in tech-items during the coronavirus incubation period, week 4-9 2020

Die deutliche Verlagerung auf den Onlinehandel und die Notwendigkeit nach Flexibilität und Skalierbarkeit erfordern von den Unternehmen schnelle Investitionen in die Zukunft. Sinnvolle Entscheidungen zu einer zukünftigen Unternehmensausrichtung sind gefordert. Die Reaktion auf sich abzeichnende Trends, wie eine Zunahme beim Online-Shopping und die weitere Steigerung der Verkäufe von Produkten mit hoher Nachfrage, sind wichtig. Solche Entscheidungen können Türöffner für neue zukünftige Geschäftsmodelle sein und bieten eine Chance zur Neupositionierung am Markt.

Passen Sie Ihr Geschäftsmodell an!

Aus Krisenzeiten ergeben sich neue Chancen für Unternehmen, so z. B. die Möglichkeit, Schwachstellen in den Geschäftsabläufen aufzudecken oder (technische) Mängel zu analysieren. Der Ausbruch einer Krise könnte ein guter Initiativpunkt für Unternehmen sein, grundlegende und strukturelle Veränderungen vorzunehmen. Investitionen, die ohnehin unvermeidlich gewesen wären, sind nun viel schneller notwendig geworden. Mittel- bis langfristige Strategien müssen neu überdacht und u. U. bestehende Geschäftsmodelle angepasst werden, um ein Unternehmen weniger anfällig für unvorhergesehene Krisen zu machen.

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Unternehmen, die langfristig investieren, ihre Chancen aus der Krise erkennen und nutzen, können den Markt mitgestalten und gegebenenfalls den nächsten Status quo mit definieren.

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Wichtige Aspekte/Fragestellungen bei der Überarbeitung eines Geschäftsmodells:

Büros: Wurde der Betrieb bzw. das Geschäft während der Krise erfolgreich weitergeführt, während die Mitarbeiter vom Homeoffice aus tätig waren? Warum sollten sie dann nicht häufiger von zu Hause arbeiten? Könnten die Kosten möglicherweise gesenkt werden, wenn man den physisch benötigten Büroraum verkleinern würde? Was sind die Vor- und Nachteile der Einführung eines dezentralisierten Arbeitsmodells? Kann die erforderliche IT-Sicherheit gewährleistet werden? Welche Technologie wird benötigt für Remote Management, Kommunikation und Schulungen?

Onlinehandel: Überdenken von Budgetplanungen – Eventuelle Umverteilung geplanter Investitionen für den Offlinehandel in den nachhaltigeren Onlinehandel? Steht der Bereich Online-Shopping ausreichend im Fokus? Ist das Unternehmen auf zukünftige Entwicklungen am Markt vorbereitet? Sind genügend Ressourcen und Technologien vorhanden, um den Bereich E-Commerce auszubauen?

Lieferkette: Überprüfen von Investitionen in automatisierte Planungs- bzw. Optimierungssoftware oder in andere Softwarelösungen - Kann die Nutzung von Daten zu einer verbesserten Entscheidungsfindung beitragen, um die Effizienz des Unternehmens zu steigern? Ermöglicht der Einsatz von Softwarelösungen und verbesserter Technologien in Lager und Transport effizientere Prozesse?

Partnerfirmen und Subunternehmer: Ist die reibungslose Zusammenarbeit mit Subunternehmern und anderen Beteiligten in Zeiten unvorhergesehener Ereignisse gewährleistet? Ist eine schnelle Ressourcenumverteilung im Bedarfsfall möglich? Sind die Partner in der Lage, eigene Aktivitäten zu skalieren, um Ihren Bedarf zu decken? Ist die notwendige Technik verfügbar, um eine gute Zusammenarbeit mit Partnern zu ermöglichen? Sind unter Umständen neue Partnerschaften sinnvoll?

Geschäfte: Wären die notwendigen Technologien zur Umstellung des Betriebes auf bargeldlosen Zahlungsverkehr vorhanden? Ist ein reduzierter Personaleinsatz möglich, durch beispielweise Einführung von Selbstbedienungskassen? Sind Technologien sinnvoll zur Echtzeitkontrolle der Warenverfügbarkeit in den Regalen? Ist die sofortige Reaktion auf unvorhergesehene Engpässe in der Warenverfügbarkeit gewährleistet, beispielsweise durch automatische Auffüllung des Bestandes?

Zusammenfassend

Krisen bringen zumindest einen Vorteil: Sie zwingen zum Nachdenken. Diese Aussage von Jawaharlal Nehru, dem ersten Ministerpräsidenten Indiens, trifft in Zeiten, in denen wir "Normalität" neu definieren, klar ins Schwarze. Wenn Unternehmen einen ersten Weg gefunden haben, mit den akutesten Problemen umzugehen, die der Ausbruch des Virus verursacht hat, werden sie sich darauf vorbereiten müssen, wie zukünftig bei verschiedenen Szenarien zu handeln ist. Es gibt keinen Masterplan für die Zeit nach Corona, wenn bisher geltende Regeln keinen Bestand mehr haben. Daten und Trends können jedoch Hinweise geben und Wege zur Neupositionierung in einer umstrukturierten Wirtschaft aufzeigen. Unternehmen werden ihre mittel- bis langfristigen Strategien überdenken und ihre Geschäftsmodelle so anpassen müssen, dass sie zukünftig weniger anfällig für unvorhergesehene Krisen sind. Letztlich wird sich aber zeigen, dass eine Krise auch Chancen für Fortschritt schafft.

Joël Hogeveen, Business Consultant.

Wir unterstützen Sie bei der Bewältigung der vielen, neuen Herausforderungen, die sich für Sie und ihr Unternehmen aus dieser besonderen Zeit ergeben. Wir motivieren unsere Mitarbeiter, proaktiv zu handeln.

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